Blick Über den Tellerrand; Internationaler Einsatz digitaler Medien



Als zweiter Beitrag der dreiteiligen Vortragsreihe “Unterrichten mit digitalen Medien” referierte Prof. Dr. Frank Thissen von der Hochschule der Medien Stuttgart im Konferenzraum der Freiherr-vom-Stein-Schule vor Lehrerinnen und Lehrern der FvSS und der umliegenden Schulen sowie vor Schülerinnen und Schülern und deren Eltern.
Frank Thissen lud die Anwesenden auf eine spannende “Zeitreise” durch die verschiedenen Epochen des Lernens ein und teilte die Wissensvermittlung und die damit verbundenen Leitmedien in drei große Epochen einteilt:
Wissen, so Thissen sei zu Anfang dieser Bewegung nur wenigen zugänglich und wurde mündlich tradiert und manuell umgesetzt. Somit sei die große Herausforderung dieses ersten Abschnitts der Zugriff auf das Wissen selbst gewesen, da man ja zu einem Wissenden reisen musste, um es überhaupt erwerben zu können.
Diese Epoche war das Zeitalter der Hände, denn “Unterricht” erfolgt durch die “Meister”, von denen die Schüler der damaligen Zeit quasi eins-zu-eins erlernten. Schüler und Lehrer arbeiteten und lebten zusammen und die Lehrer waren Vorbilder und Berater. Gelernt wurde ausschließlich aus dem Kontext heraus und Wissen wurde immer in konkreten Situationen erworben, weshalb es sehr nachhaltig vermittelt werden konnte. Die Dokumentation dieses Wissens in Büchern war sehr aufwändig, sie waren selten, kostbar und teuer, da sie von Hand geschrieben werden mussten.
Mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern begann das Zeitalter der Bücher und obwohl es nun möglich war, Wissen schriftlich zu dokumentieren und Lehrwerke beliebig oft zu vervielfältigen, stand der Lernende vor der Herausforderung, punktuell auf das von ihm Gesuchte zugreifen zu können. Mit dem Buchdruck, so Thissen habe sich dann auch die Rolle des Lehrenden oder des Lehrers gewandelt: Sie wurden zu Vermittlern von Informationen, die Schüler zu “Konsumenten”.

Es wurde tendentiell nun auf “Vorrat” gelernt und die Schüler eigneten sich Wissen an, das in bestimmten Situationen abrufbereit sein musste, es fand also eine Konzentration auf die Reproduktion von Fakten und Daten statt. Die Wiederholung und das Auswendiglernen gewannen die Überhand, das Lernen wurde hierarchisch organisiert, “objektiviert”, standardisiert und fest definiert. Diese Art von Schule bereiteten auf Militär, Verwaltung oder das Arbeiten in Fabriken vor und eine Ausbildung hielt ein Berufsleben lang. Als Beispiel nannte Prof. Dr. Thissen hier das englische Schulsystem, das extrem normativ war und die Eliten auf ihre eng umrissenen Aufgaben irgendwo im Empire vorbereitete. Hier sei es nicht um Kreativität oder Spontanität gegangen, es sei vielmehr wichtig gewesen, dass die Schüler später innerhalb des Empires in ihrer jeweiligen Stellung “funktionierten” und als Rädchen im Uhrwerk fungierten.

Als letzte große Phase, in der wir uns nämlich derzeit befinden, nannte Thissen das Zeitalter der Daten. Das Wissen der Menschheit sei Dank des Internets allen zugänglich und wachse exponentiell an. Dies verdeutlichte Frank Thissen an Hand des Suchbegriffes “Mobiles Lernen”, für den Google ungefähr 440.000 Ergebnisse innerhalb von 0,34 Sekunden zu Tage fördert.
Diese Informationsflut stelle nun die Menschen unseres Zeitalters vor eine ganz neue Herausforderung: die Bewertung der im Überfluss vorhandenen Informationen.
Mit diesem Paradigmenwechsel habe sich die Rolle des Lehrers erneut gewandelt. Ein Vorhalten eines kanonisierten und standardisierten Wissens sei angesichts der Tatsache, dass Schüler nach ihren Abschlüssen in Berufen arbeiten werden, die es während ihrer Schulzeit noch gar nicht gab, fast unmöglich.
Statt dessen müssten die Schüler mit den 21st century skills vertraut gemacht werden, denn mit den tradierten Wissensinhalten des ausgehenden Industriezeitalters ließen sich die Probleme des Informationszeitalters, in dem wir uns bereits befinden, nicht lösen.
In diesem Zusammenhang präsentierte Herr Thissen die Ergebnisse der JIM-Studie 2014, die medialen Kompetenzen und Gewohnheiten von Jugendlichen untersucht. Fast 100 Prozent der Jugendlichen besitzen Mobile Phones und haben Internetzugang und benutzen es auch regelmäßig zum Lernen für die Schule. Dieser Tatsache tragen die Schulen aber bisher kaum Rechnung, sondern beharrten eher auf einem “weiter so!”.
Dass das aber der falsche Weg ist, verdeutlichte Thissen an Hand eines Schaubildes von 2013, welches die Entwicklung von Berufen mit dem Schwerpunkt auf manuellen und kognitiven Routinen im Gegensatz zu Berufen mit dem Schwerpunkt auf analytischen und kreativ problemlösenden Bereich visualisiert. Demnach werde die erste Gruppe immer mehr durch Maschinen ersetzt, die Zahl der innovativen, nicht routine-bedingten Berufe steige aber steil an.
Als Beispiele für die Notwendigkeit von problemlösendem, kreativen und innovativen Unterricht für die Lösung der Probleme von morgen nannte Thissen die globalen Herausforderungen wie Überbevölkerung, Hunger, Klimawandel und Kampf um Ressourcen.

Bei dem abschließenden Blick über den Tellerrand hinaus stellte Prof. Dr. Frank Thissen dann einige Modellversuche des Einsatzes von iPads an Schulen in Australien, England und den USA vor, die alle zu dem Ergebnis kommen, dass der Einsatz der digitalen Medien zu einer größeren Nachhaltigkeit des Wissens und vor allem zu einer Aktivierung der “schwächeren” Schüler geführt habe, die sich durch den meist vorherrschenden Frontalunterricht nicht oder nur bedingt angesprochen gefühlt hätten.

Frank Thissen schloss sein Referat mit einigen konkreten Filmbeispielen, die den Einsatz der digitalen Medien an in verschiedenen Schulfächern, aber auch im Curriculum einiger Modellschulen rund um des Bodensee zeigten, die sich konsequent einem Wandel hin zu Schule 2.0 unterzogen hatten.

Im Anschluss an den sehr gelungenen und kurzweiligen Vortrag hatten die Anwesenden Gelegenheit, mit Prof. Dr. Frank Thissen über die Thematik zu diskutieren, wovon lebhaft Gebrauch gemacht wurde. Das Echo der Kolleginnen und Kollegen, aber auch der Eltern und Schüler, was sehr positiv und dokumentierte eindrucksvoll die Relevanz der Thematik für die Schule von morgen.